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Von der Anwesenheit des Abwesenden
Tom Brooks: aus der Serie "Wenn ich noch jung und hübsch war"

Von der Anwesenheit des Abwesenden

Ute Christina Bauer » Tom Brooks » Christina Denz » Rannveig Einarsdottir » Arnon Hampe » Ella Kadas » Holger Knote » Lothar Köhler » Lydia Kotzan » Ute Nüchterlein » Werner Probst » Ute Ursula Schäfer » Jürgen Schmidt » Katharina Stöcker » Nils Töpfer »

Exhibition: 12 Feb – 19 Feb 2017

Sat 11 Feb 18:00

Kunstquartier Bethanien

Mariannenplatz 2
10997 Berlin

+49 (0)30-49306337


kunstquartier-bethanien.de/

Wed, 13-18, Thu-Sat 13-20, Sun 13-18

Von der Anwesenheit des Abwesenden
Arnon Hampe: aus der Serie "Anders als glücklich"

"Von der Anwesenheit des Abwesenden"

Ute Christina Bauer | Tom Brooks | Christina Denz | Rannveig Einarsdottir | Arnon Hampe | Ella Kadas | Holger Knote | Lothar Köhler | Lydia Kotzan | Ute Nüchterlein | Werner Probst | Ute Ursula Schäfer | Jürgen Schmidt | Katharina Stöcker | Nils Töpfer

Ausstellung: 12. bis 19. Februar 2017
Vernissage: Samstag, 11. Februar, 18 Uhr

Finissage mit Künstlergespräch: Sonntag, 19. Februar 2016, 16 Uhr
Vortrag: Sonntag, 19. Februar, 15 Uhr
Prof. Dr. Silke Helmerdig (Hochschule Pforzheim): "Fotografie als Klischee der Möglichkeiten"
Anstatt sich auf die dokumentarische Qualität der Fotografie zu beziehen, die in der Vergangenheitsform und in dem, "was gewesen ist" verharrt, schlägt Silke Helmerdig in ihrem Buch "Fragments, Futures, Absence and the Past" eine neue Lesart für die Fotografie vor: Ein um einen "Futur Konjunktiv" erweitertes Verständnis fotografischer Bilder, die davon erzählen, "was hätte sein können".

In der Ausstellung "Von der Anwesenheit des Abwesenden" des Photocentrums der Gilberto Bosques VHS Friedrichshain-Kreuzberg setzen sich 15 Fotokünstler*innen mit einem erweiterten Wirklichkeitsbegriff auseinander.

Immer noch dominiert die Auffassung, dass die Fotografie ein in großem Maße dokumentarisch arbeitendes Medium ist: Die Kamera hat festgehalten, was sich zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort vor dem Objektiv befand. Dabei wissen wir längst, dass Fotografie nicht nur Sichtbares aufzeichnet und konserviert. Sie schafft und konstruiert darüber hinaus eigene Wirklichkeiten.

Eine große und aktive Rolle kommt dabei den Betrachtenden zu, die selbst Geschichten zu den gesehenen Bildern schreiben. Die fotografischen Bilder werden bei diesem Prozess zu Komplizen ihrer Betrachter, sie verbinden sich mit deren vorhandenen Hoffnungen, Ängsten, Verlusten und Utopien und generieren neue. Vielfältig sind die Strategien, Abwesendes im fotografischen Bild zu einer eigenen, scheinbar realen Welt werden zu lassen. Weil wir unseren Augen viel mehr trauen als den anderen Sinnen, ist die Fotografie in besonderem Maße geeignet, alternative Welten zu erzeugen und der real erfahrenen gegenüberzustellen. So kann Fotografie auf etwas verweisen, das nicht mehr ist, aber vielleicht herbeigesehnt wird. Oder sie kann auf etwas hindeuten, was (noch) nicht ist, sich als Utopie aber bereits formt. Im Bild lassen sich Dinge vergegenwärtigen, die im vorherrschenden gesellschaftlichen Diskurs keinen Platz haben – nicht mehr oder noch nicht. Manchmal werden sie zu Vorbildern, von denen eine verändernde Kraft ausgeht. In anderen Fällen werden sie zu inneren Fluchtburgen, in denen eine Hoffnung überleben kann. Die ausstellenden Künstler*innen haben sich in ihren Arbeiten mit der Begrenztheit beschäftigt, die der Auffassung einer als vorwiegend dokumentarisch empfundenen Fotografie innewohnt. Sie haben diese Grenzen verschoben und sich einem erweiterten Wirklichkeitsbegriff angenähert. Alle gezeigten Arbeiten entstanden im Rahmen des Projektkurses "Von der Anwesenheit des Abwesenden" unter der Leitung von Thomas Michalak am Photocentrum der Gilberto Bosques VHS Friedrichshain-Kreuzberg.

Mit alten Familienfotos setzt sich Ute Christina Bauer in ihrer Arbeit "ErinnerungsRäume" auseinander. Ausgehend von diesem Ursprungsmaterial fasst sie Erinnerung nicht als etwas real Erlebtes auf, sondern als eine aus Bildern entstandene Konstruktion. Sie macht sich auf den Weg, die Vergangenheit neu zu erforschen, indem sie zwischen selbst Erinnertem und ihr Erzähltem unterscheidet. In dreidimensionalen Modellen baut sie rund um die alten Fotos Familiensituationen nach. Die Modelle schaffen Raum für eigene Erinnerungen – möglicherweise auch für ganz neue.

"Wenn ich noch jung und hübsch war ..." schrieb die Mutter von Tom Brooks Ende des zweiten Weltkrieges auf die Rückseite eines Passbildes. Die Aufnahme entstand kurz nachdem sie im Alter von 20 Jahren ihre Heimat in Belgien verließ. Es verschlug sie nach Bayern in die Nähe des Starnberger Sees. Sie wusste damals nicht, dass sie in dieser Gegend den Rest ihres Lebens verbringen würde. Inspiriert von der Frage "ob die Erinnerung etwas ist, was man hat, oder etwas, was man verloren hat" (W. Allen), begab sich Brooks auf die Suche nach Bildern und Orten dieser Biografie und deren Verwobenheit mit seiner eigenen.

Nocturnes – damit sind freie Klavierstücke der Romantik gemeint, die aus dem Formkorsett der Kompositionslehre heraus springen, bei denen die Feder von Ahnung und Empfindung geführt wird. Auch bei ihrer fotografischen Arbeit "nocturne | nachtstück" führten Empfindungen den kreativen Prozess von Christina Denz. Anstelle eines Konzepts stand am Beginn eine Stimmung, die Ahnung eines Raums. Erst in der Kombination der Fotografien miteinander – einer Improvisation gleich – weitet sich der Raum zu einer Topografie der Innerlichkeit. Sie eröffnet einen neuen Weg, eine Reise, deren Ziel unbekannt ist.

Die Isländerin Rannveig Einarsdóttir dokumentiert Menschen und ihre Lebensumstände. In "Szenen der Vergangenheit" porträtiert sie einen alten Mann in seinem Haus. Er wohnt dort zwar nicht mehr, aber er kehrt jeden Tag wieder dorthin zurück, da er mit dem Ort wichtige Erinnerungen an das Leben mit seiner Frau verbindet. Alles ist unverändert. Die Vergangenheit ist spürbar anwesend. Gegenstände, Bilder und Möbel erwecken die Ereignisse eines langen Lebens aufs Neue. Der Mann wird zum Betrachter seiner Vergangenheit. In vielen Gegenständen spiegelt sich sein Gemütszustand wieder.

Arnon Hampe interessiert sich besonders dafür, wie sich gesellschaftliche und ökonomische (Ungleichheits-)Verhältnisse in den von ihnen betroffenen Menschen abbilden. Seine Arbeit "Anders als glücklich" befasst sich mit dem Versprechen des individuellen Glücks, das der Kapitalismus verheißt. Sichtbar wird dieses Versprechen erst in seiner Uneingelöstheit. Da, wo Armut, Flucht, Krankheit, Depression oder Sucht das Leben beherrschen und wo keine Inklusion in irgendeine Art von Normalität mehr möglich ist, werden die Abwesenheit des Glücks, aber auch Spuren des Begehrens nach seiner (Wieder-)Aneignung erkennbar.

Nach den Momenten, nach den Details, die uns leise wie eine unsichtbare parallele Welt begleiten, sucht Ella Maria Kadas in ihrer Arbeit "Dasein". Selten erlauben wir uns einen Blick in diese Welt, doch manchmal, für einen Moment nur, wird unsere Aufmerksamkeit davon gefangen. Wir rutschen in einen zeitlosen, gedankenfreien Zustand des einfachen Daseins hinein. Vielleicht nur für ein paar Sekunden.

Was ist das – Mann? Wie sieht das aus? Wie ich, wie du, wie sie? Braucht es zwölf weitere Begriffe oder gar keinen? Diesen Fragen stellte sich Holger Knote mit "Mannmannmann." In seiner Porträtreihe versucht er eine Momentaufnahme der sich seit jeher ändernden Mann-Wahrnehmung. Er stellt ganz unterschiedliche Körper einander gegenüber, um deren Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu untersuchen.

Lothar Köhler zeigt in seiner Arbeit "Beverly" eine Politologin, Schriftstellerin und Performancekünstlerin, die seit mehr als zehn Jahren als Transfrau in Berlin lebt. Ein Identitätsmerkmal in unserer Gesellschaft ist die Unterscheidung in zwei biologische Geschlechter. Bestehende Bilder und Normen weisen dem Menschen männliche und weibliche Rollen zu und sind mit bestimmten Erwartungen verbunden. Für viele trans- und intersexuelle Menschen sind die Übergänge der Geschlechteridentität fließend. Wer nicht dieser Zuweisung entspricht, wird in der Öffentlichkeit immer noch stigmatisiert. Abseits von Glamour und großen Gesten erzählt Köhler eine ganz persönliche Lebensgeschichte, geprägt von Stolz, Emanzipation und Mut.

Von der Anwesenheit des Abwesenden
Lothar Köhler: aus der Serie "Beverly"

Es ist eine Reise ins Weite, Unbekannte und Nebelhafte, auf die wir uns jede Nacht begeben. Besonders bildhaft und emotional träumen wir in der REM-Phase (Rapid Eye Movement). Wachen wir hieraus auf, erinnern wir uns manchmal lebhaft an bizarre, irritierende Situationen, bei denen die Grenzen zwischen Fantasie und Realität verschwimmen. Träume sind noch nicht gänzlich erforscht und umso faszinierender. Sie sind vielleicht das surreale Abbild unseres Alltags, Ausdruck unseres Unbewussten, das Instrument, um Erinnerungen und Gelerntes zu verfestigen oder eine Quelle von Kreativität und Inspiration. Gelenkte Traumreisen können uns in traumähnliche Sphären versetzen, um uns selbst zu finden, zu entspannen und loszulassen. In ihren Fotografien zu "REM" fängt Lydia Kotzan im Selbstporträt die surreale Traumwelt in ihren Facetten, im Ineinandergreifen von Fantasie und Wirklichkeit, ein.

Ute Nücherlein begibt sich mit "She is gone – A poem by David Harkins" auf eine Reise aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Was nicht als Fotografie existiert, existiert nur in uns selbst. Das können Bilder, Szenen, Geräusche, Gerüche und/oder ganz besonders Gefühle sein. Diesen Erinnerungen an eine Reise mit ihrer Mutter nach New York im Jahr 1972 ist Ute Nüchterlein 44 Jahre später nachgereist.

Zu seiner Serie "Die Trilogie des Bösen oder das Versagen der Ente" ließ sich Werner Probst durch die Bilder von Anna und Bernhard Blume inspirieren. Deren Art des zeitkritischen Humors hatte es ihm angetan. Wie viel Böses kann in einem Menschen stecken? Ist es nur Fik-tion im Kopf oder kann daraus mehr entstehen? Wie stark kann ein zweites Ich wirken? Der Titel gibt einen Hinweis auf den humorvollen Betrachtungsansatz. Werner Probst möchte den Betrachter neugierig machen, aber auch zum Nachdenken bewegen.

"Albedo" heißt eine der ausgestellten beiden Arbeiten von Ute Ursula Schäfer. Die Albedo als zweite Phase des alchemistischen Werkes folgt der Nigredo und steht für das Hellere, Weiße, für das Licht nach der Finsternis. Der totähnliche, schwarze Körper wird in der Albedo gereinigt. Unserer Seelennatur bewusst zu werden ist der erste Schritt zur Beantwortung der Frage "Wer bin ich?". Die Seele wird sich ihrer selbst bewusst, indem sie ihre eigene Lichtnatur erkennt. Die Bilder zu ihrem zweiten ausgestellten Werk "Aura" sind mit einer selbst gebauten Camera obscura entstanden. Aura leitet sich vom griechischen Wort Avra (Brise) ab und bezeichnet die Ausstrahlung und Existenz aller Körper zusammen.

Mit der Fotoserie "Zeitvergessen" will Jürgen Schmidt zum Innehalten anregen, zum Vermeiden, in immer kürzer werdende Zeiteinheiten immer mehr Action und Erleben zu legen. Stattdessen fordert er dazu auf, mehr ganzheitlich zu empfinden. Seine Aufforderung: Weniger Selbstreflexion, mehr Entzweckung und Selbstvergessenheit wie beim Spielen. Er fotografierte Schachspieler*innen, die sich ganz dem Moment hingeben.

Eva-Maria G. lebt seit 87 Jahren in Berlin. War Opfer des Krieges, der Willkür russischer Besatzung, des ewigen Hungers. Und sie war verdammt wütend. Und ist es noch immer, wenn sie von Situationen erfährt, die ihrem Gerechtigkeitssinn widersprechen. In Gesprächen mit ihr und drei anderen Menschen aus unterschiedlichen Teilen der Welt begab sich Katharina Stöcker auf die Suche nach dem, was diese in ihrem Widerstand und in ihrem Kampf für eine bessere Gesellschaft nährt. "Es blitzten die Sterne" zeigt fotografische Porträts ihrer Gesprächspartner*innen und lässt sie auch akustisch zu Wort kommen. Stöcker geht deren Sehnsüchten und Hoffnungen, ihrer Antriebskraft nach. Was leitet diese Menschen im Leben?

"Mein Grün, dein Grün?" Das liegt letztlich Im Auge des Betrachters. Wie Farben wahrgenommen werden, wird von allerhand Faktoren beeinflusst. Lichtintensität und -zusammensetzung etwa spielen eine Rolle. Fasziniert davon, dass ungefähr einer von zwölf Männern Farben deutlich anders wahrnimmt als der Rest, beschäftigt sich Nils Töpfer in seinen Polaroids mit der visuellen Wahrnehmung. Die Farben seiner Bilder entsprechen der Farbwahrnehmung bei sogenannter Farbfehlsichtigkeit. Die Fotografien empfinden die physische Sichtweise bei Rot-Grün-Sehschwäche nach.

Projektleitung: Thomas Michalak, mobil: 01522 / 395 84 67, michalak@posteo.de

Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Essay von Sarah Pedde, Wien.

Weitere Informationen zur Ausstellung, zu den Arbeiten und den Künstler*innen: www.von-der-anwesenheit-des-abwesenden.de

Von der Anwesenheit des Abwesenden
Ute Christina Bauer: aus der Serie "ErinnerungsRäume"
Von der Anwesenheit des Abwesenden
Werner Probst: aus der Serie "Die Trilogie des Bösen"